Als ‚Nachfolgerin‘ der bildhaften Zeichnung und Malerei steht die Fotografie ja heutzutage immer noch bei der überwiegenden Mehrzahl der Rezipienten und sogar der fotografierenden Menschen in dem Ruf, die ’Wirklichkeit‘ abzubilden. Oberflächlich betrachtet tat und tut sie das auch und leistet in der ‘Dokumentarfotografie‘ und im Journalismus bis heute wertvolle Dienste. Durch neueste Entwicklungen der Bildmanipulation mittels sogenannte KI wird in jüngster Zeit allerdings diese Funktion der Fotografie zunehmend offensichtlich fragwürdig und absehbar obsolet.
Alleine schon die Reduktion unserer für ‘wahr‘-genommenen sichtbaren ‘Wirklichkeit‘ auf das zweidimensionale, hinter einem optischen Linsensystem angeordnete, lichtempfindliche Material der Fotografie ist faktisch eine ziemlich hohe Abstraktionsstufe. Wobei das durch systematische Analyse der Zentralprojektion und ihre Anwendung in der Mal- und Zeichenkunst bis zu einem gewissen Grad schon vorweggenommen war. Dabei soll allerdings nicht verkannt werden, dass das zweidimensionale Abbild durch sein Entstehen selbst ja Teil unserer sichtbaren Realität wird.
Eine weitere Abstraktionsstufe im Entstehungsprozess einer fotografischen Abbildung stellt das lichtempfindliche Material selbst dar. In der Schwarzweißfotografie ist das leicht nachvollziehbar, weil jeder, der damit arbeitet/gearbeitet hat weiß, wie unterschiedlich, je nach Lichtverhältnissen, benutztem Aufnahmematerial und eingesetzten Filtern und möglichem Kontrastumfang sowohl des Negativ- wie des Positivmaterials, Farbnuancen ganz unterschiedlich in Grautöne umgesetzt werden.
In der analogen Farbfotografie, in der sich die Filmmaterialhersteller seit jeher nach Kräften darum bemüht haben, sich naturgetreuen oder ’natürlichen‘ Farbtonwiedergaben mit ihren Rezepturen so gut es ging, anzunähern, weiß jeder, der mit unterschiedlichen Filmfabrikaten gearbeitet hat, von wie vielen, oft nur bedingt oder vom Fotografen gar nicht beeinflussbaren Faktoren die Farbwiedergabe faktisch abhängt. Dazu kommen für den Fotografen ebenso wie für den Betrachter neben der Psychologie der Farben noch Modeerscheinungen und die sich im Laufe der Zeit mit dem Masseneinfluss der bildgebenden Medien stark verändernden Sehgewohnheiten.
In der digitalen Fotografie ist die Farbsteuerung für nahezu jeden zur ’frei‘ beeinflussbaren Größe und damit Manipulations- und Abstraktionsmöglichkeit geworden, die auch neue künstlerische Wege eröffnet.
Noch weniger bewusst ist selbst den meisten engagierten Fotografen die Abstraktionskomponente der gewählten Aufnahmeoptik in der Fotografie.
Nimmt man das menschliche Auge als Maßstab für die ’naturgetreue‘ fotografische Darstellung unserer Umwelt, muss zuallererst festgestellt werden, dass es bis heute kein optisches System gibt, dass das leisten kann, was unser Sehapparat zu leisten vermag.
Spezialkonstruktionen sind zwar in der Lage, in Teilleistungen deutlich über das menschliche Sehvermögen hinauszugehen (Micro-, Makro-, Weitwinkel- oder Teleskopoptiken), dafür sind sie aber andererseits in vieler Hinsicht dem menschlichen Sehvermögen deutlich unterlegen. Andererseits kennen Fotooptiken je nach Wahl und Einstellungen beispielsweise die selektive Schärfensteuerung als künstlerisches Gestaltungselement, dem das menschliche Sehen so nicht zu folgen vermag.
Ein weiterer Faktor, der das Foto sehr deutlich vom menschlichen optischen Wahrnehmen unterscheidet, ist das Zeitkontinuum. Fotografie abstrahiert ebenso stark von der ’Realität‘ wie sie sich gleichzeitig dadurch künstlerische Möglichkeiten eröffnet, indem sie immer nur einen vergleichsweise sehr kleinen Ausschnitt aus dem Zeitkontinuum unserer Wahrnehmung darzustellen in der Lage ist.
Zuletzt sei in diesem Zusammenhang noch die enorm bedeutsame Abstarktions- wie Gestaltungskomponente der Bildbegrenzung erwähnt, die im Zusammenhang mit meinen Arbeiten in der Darpanagrafie eine ganz besondere, selbsterklärende Rolle spielt.
Damit sei für mich und hier die immer wieder ’mal aufflammende Diskussion um die Fotografie als Kunstform abgeschlossen.
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