Bildgedächtnis, Fantasie und Kreativität

White wooden Houses

In einem früheren Beitrag habe ich mich im Zusammenhang mit dem Unterschied zwischen sehen und wahrnehmen optischer Eindrücke geäußert, also hauptsächlich die ’Inputseite‘ betrachtet. Heute geht es mir um die kritische Sicht auf unser bildhaftes Gedächtnis und wie wir Menschen willentlich damit umgehen können.

Menschen denken nicht nur sprachlich, sondern in mindestens ebenso großem Umfang -im Laufe der Hirnreifung wahrscheinlich sogar früher- auch bildhaft. Wir sind bewusst und willentlich in der Lage, Bilddaten aus unserem Gehirn abzurufen, sogar während wir gleichzeitig bildhafte Daten aufnehmen, also die Augen offen halten. Wir können nicht nur spontan Gesehenes mit erinnerten Bildern abgleichen und somit Wiedererkennen, sondern ziemlich fein ausdifferenzieren und damit zwischen ’Identifizieren‘ und ’ähnlich‘ unterscheiden. Diese Fähigkeit geht nicht nur aus der dreidimensionalen Umgebung in die Abbildung, sondern auch in umgekehrter Richtung so weit, dass wir aus einer selbst nur mittelmäßig genauen Darstellung (z.B. einer Zeichnung) mit recht hoher ’Trefferquote‘ auf die uns umgebenden Dreidimensionalität rückschließen können. Ja selbst aus einer verbalen Beschreibung sind wir ab einem bestimmten Alter, also mit hinlänglich umfangreichem Formenpool ausgestattet, fähig, uns ein ’Bild‘ zu ’machen’. Wir können also ’imaginieren‘, uns etwas (so) noch nicht Gesehenes vorstellen, fantasieren, kreieren.

Seit ich mich mit solchen Fragen intensiv und systematisch beschäftige, komme ich immer wieder und häufiger an einen Punkt, wo ich erstaunt und ehrfurchtsvoll innehalten muss vor all den Möglichkeiten und Fähigkeiten, die uns diese knapp salatschüsselgroße graue Zellmasse, die wir Gehirn nennen, bereithält. Soll das alles -im Darwin’schen Sinn- ’nur‘ evolutionär dazu entstanden sein, den Bestand der Spezies möglichst langfristig zu sichern?

In Verbindung mit motorischer Umsetzung dessen, was wir sehen, glauben zu sehen oder imaginieren können, machen diese Fähigkeiten doch künstlerischen Ausdruck überhaupt erst möglich. Die individuelle Ausprägung all dieser potentiellen Möglichkeiten ist so groß und divers, das sie mir buchstäblich ’unbeschreiblich‘ erscheint. Die Outputseite.

Wir können also Bilder nicht nur abspeichern und erinnern, sondern unterschiedliche Bilder quasi im Kopf ’übereinanderlegen‘ und vielfältig miteinander kombinieren und damit völlig neue Bilder entstehen lassen. Ein unerschöpflicher -weil sich selbst speisender-  Pool an lustgeladenen Möglichkeiten Neues zu er-finden!

Aber: Gerade wegen aller technischer Perfektion, mit der wir gegenwärtig in der Lage sind unsere eigenen Sinne je nach Intention zu bereichern, oder zu vernebeln und zu verwirren und den Unterschied zwischen Wirklichkeit (im vedantisch-philosophischen Sinn) und  ‘Maya‘ bis zur völligen Unterscheidungslosigkeit zu verwischen, müssen wir uns immer wieder und jederzeit bewusst machen, dass -zumindest alle bildgebenden Verfahren- letztlich nichts als sinnfreie Partikel auf kontrastierendem Untergrund sind. Und gleichzeitig darf das niemals als Ausrede dafür missbraucht werden, um uns aus der eigenen Verantwortlichkeit für das, was wir an Neuem lustvoll in die Welt bringen, davonstehlen zu wollen.

Jeder Künstler, jeder ’Kreator‘ ist insofern eben nicht im ’Elfenbeinturm‘ nur seiner ’göttlichen Eingebung‘ verpflichtet, sondern, ob er will oder nicht, er ist ‘soziales‘ Wesen mit all seinen Implikationen.

Was wäre er denn ohne Rezipienten, Menschen aus seiner Umgebung, die ihn wertschätzen?

Ja, ich weiß es aus eigener Erfahrung. Künstler sind wie Blumen in einer Sommerwiese. Sie blühen, egal, ob jemand vorbeikommt und sie in ihrer Schönheit bewundert oder nicht. Sie müssen blühen, sie können nicht anders als blühen und sie können nichts anderes als blühen. Sie können nicht anders als ihren Duft verbreiten, sie müssen sich der Welt darbieten. Es ist ihre Lebensaufgabe, es ist dieses Geschenk an die Welt, ihren künstlerischen Ausdruck darzubieten.

Dem ’wahren‘ Künstler kommt es so wenig und so viel wie der Blüte in der Sommerwiese darauf an, ob und wann die Biene oder ein anderes  Insekt vorbeikommt und von ihrem köstlichen Nektar trinkt und sich an ihrem göttlichen Duft berauscht. Sie blüht einfach aus sich selbst heraus, weil sie blühen muss.

Gleichzeitig aber weiß ich ebenso wie Karl Valentin, dieser große ‘Komödiant‘, dem das Zitat zugeschrieben wird:  „Ja, Kunst ist schööööön  – – – – – macht aber auch viel Arbeit!“ Anders ausgedrückt, auch ein Künstler muss (von etwas) leben. Und weil er nun ‘mal nichts anderes kann als Künstler zu sein, muss er eben versuchen, von seiner Kunst leben. … Damit bin ich unvermittelt bei einem ganz anderen Thema gelandet, zu dem ich mich ein anderes Mal äußern will.


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