Bei Durchsicht aktueller Literatur und Beiträgen im Internet zu Themen rund um Darstellungsweisen in den bilderzeugenden Kunstgattungen wie Zeichnung, Malerei und insbesondere der Fotografie fällt mir auf, dass es kaum einen klaren und durchgängig verwendeten Begriffsrahmen gibt. Nicht nur sind unterschiedliche Begriffe für ähnliche Sachverhalte in Gebrauch, es werden auch dieselben Adjektive (Eigenschaftswörter) zur Beschreibung völlig unterschiedlicher Phänomene benutzt.
Von einem chinesischen Philosophen des Altertums ist mir ein Zitat in Erinnerung, in dem er sinngemäß formuliert haben soll:
„ … unpräzise Begrifflichkeiten führen zu unpräzisem Denken … und unpräzises Denken führt zu unpräzisen Handlungen … und so letztlich dazu, dass die falschen Leute an Einfluss gewinnen … Diese Entwicklung wird schließlich für den Staat und jedes Gemeinwesen gefährlich.“
Obwohl diese Aussage schon mehrere tausend Jahre alt ist, kommt sie mir brandaktuell vor!
Geradezu genötigt fühle ich mich aufgrund dieser Beobachtung, etwas Ordnung wenigstens in den Begriffskanon zu bringen, den ich in meinen Blogbeiträgen möglichst klar und eindeutig benutzen will. So steht in guter Voltaire’scher Tradition am Anfang jedes Gesprächs die Frage „worüber reden wir?“, also eine Begriffsklärung. Gewiss wird mir hier kein ’Universallexikon‘ der Begrifflichkeiten oder ein ‘Etymologisches Wörterbuch‘ gelingen.
Ich hielte es für selbstvermessen, so etwas auch nur zu versuchen. Worum es mir geht, sind Klärungen zum Verständnis von meist wissenschaftlich (eigentlich) klar definierten Fachbegriffen, die ich in meinen Beiträgen immer wieder verwende. Bitte sucht nicht nach einer systematischen Auflistung. Mehr als eine lose Sammlung wird bei meinem Versuch nicht heraus kommen (können).
Gegenständliche Kunst
Ausgehend von der neurowissenschaftlich abgesicherten Erkenntnis, dass unser Sehen nicht im Auge stattfindet, sondern das Ergebnis eines höchst komplexen neuronalen Prozesses im Gehirn ist, muss man ’gegenständliches‘ Sehen als Interpretation optischer Sinneseindrücke begreifen. Kontrastierende Punkte, Linien und Flächen ’projizieren‘ als Nervenimpulse ein Strukturmuster ins Gehirn, das dort mit früheren (abgespeicherten/erinnerten) Vorlagen auf Ähnlichkeiten hin abgeglichen wird, um uns eine Antwort auf den eingeleiteten Reiz anzubieten.
Unsere wahrgenommene Umgebung ist i.a.R. dreidimensional. Bildhafte Kunst ist i.a.R. zweidimensional, also im direkten Sinn des Wortes immer eine Abstraktion (‘abstrahere‘ [lat.] für ‘wegnehmen‘) der für uns im Raum sichtbaren Oberflächen unserer Umgebung. Schwarzweißfotografie beinhaltet per definitionem das ’Wegnehmen‘ der Farben. Dennoch ist nicht jedes solches Bild, das wir uns von unserer Umgebung herstellen, ‘Abstrakte Kunst‘!
Wenn Hersteller/innen eines zweidimensionalen Bildes, weil er/sie bei erwachsenen Betrachtern einen entsprechend großen und größtenteils ähnlichen Pool an Interpretationsvorlagen unterstellen darf, durch Anwenden adäquater Bilderzeugungstechniken optische Reizimpulse erzeugen, die von den Betrachtern des Bildes weitgehend deckungsgleich interpretiert werden (sollen), können wir in all diesen bei weitem überwiegenden Fällen aller jemals hergestellten Bilder, von gegenständlichen Darstellungen sprechen.
Jede Bilderzeugungstechnik bietet dem (absichtsvollen) Bilderzeuger verschiedenste Methoden und Techniken an Abstraktionsgraden, die dennoch von der überwiegenden Mehrheit potentieller Betrachter (noch) als ’gegenständlich‘ interpretiert oder (schon) als ’abstrakt‘ bezeichnet werden.
Ein herausragender und einer der konsequentesten Meister dieser ’graduellen Abstraktion‘ war -weil ja genau darin eine seine künstlerische Fragestellungen lag- Piet Mondrian (*1872 – t1944).
Die Übergänge also sind fließend und genau deshalb beschäftigt sich damit die Kunst!
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