‘Zu-Fall‘? – oder intuitive Führung?
Seit Jahren schon beschäftigte mich die Idee meiner Darpanagramme und hatte mir als bevorzugtes Bildformat das Quadrat nahegelegt. Auf einer zu Ende gehenden Italienreise war ich in der Auswahl meiner Fotomotive und auch in Bezug auf Gestaltungsfragen im Geist mit dem Quadrat als Bildformat beschäftigt, als ich in einer ’zufällig‘ durchgeblätterten Kunstzeitschrift ’zufällig‘ auf eine Notiz stieß, die mir das Grundthema der Sammlung Hoppe-Ritter, die mir schon länger bekannt war, ’das Quadrat und seine Bedeutung in der und für die zeitgenössische Kunst‘ in Erinnerung rief. Da wir gerade bei Freunden in Tübingen waren, lag es nahe, die Gelegenheit zu nutzen, um mir das Museum in Waldenbuch endlich persönlich anzusehen.
Geschmacksache
Als ich das Gebäude, vom Schweizer Architekten Max Dudler entworfen, an einem ziemlich verregneten Vormittag zum ersten Mal betrat, gefiel mir spontan die helle Kalksteinfassade mit ihrer schlichten, klaren Linienführung und den großzügigen, in ihrer Farbigkeit feinfühlig abgestimmten, Glasflächen. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man das Foyer betritt und setzt sich in den ausgewogenen Proportionen der Ausstellungsräume konsequent fort und auch in den für Besucher zugänglichen Nebenräumen. Alles an diesem ’Kunsttempel‘ strahlt für mich eine solide Sauberkeit, Gediegenheit und bewusstes und konsequentes Design aus, ohne übertrieben ’stylisch‘ daherzukommen. Insgesamt eine Attitüde, die meinem Geschmacksempfinden sehr entspricht.
Déjà-vu als assoziative Verkettung
Das Museum füllte sich im weiteren Verlauf des Vormittags zunehmend mit offensichtlich interessierten Besuchern. Dennoch fand ich mich in den Toilettenräumen ganz alleine wieder, so dass ich gleich hinter der Eingangstüre meinem spontanen Impuls nachgeben kann und ohne mich selbst unter den Verdacht eines ’peeping Tom‘ stellen zu müssen, kann ich mit dem in mir gerade aufpoppenden Gedanken an das ’Ready-Made‘, das Marcel Duchamp zugeschrieben wird, einige Fotos der in Reihe installierten Urinale machen. Als verdreifachtes Zitat kommt das Bild meinem Impuls nahezu perfekt entgegen.
Überhöhung des Trivialen oder Publikumsbeschimpfung
Duchamp wird in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine zentrale Gestalt des Dadaismus und des Surrealismus. Er ist einer der ersten und radikalsten Verfechter, die ihre ’Autorität‘ dazu nutzen, einen ’trivialen‘ Gegenstand zum Kunstwerk zu ’erklären‘. Er hinterfragt also den (bürgerlichen) Kunstbegriff und stellt damit letztlich sogar seine eigene Kundschaft als die auf dem Kunstmarkt agierende Bourgeoisie mehr als infrage. Sein ’Kunstbegriff‘ ist offenbar absichtsvoll mehrdeutig und kann eben auch quasi als Publikumsbeschimpfung verstanden werden.
Umstritten
Das berühmte Reday-Made Duchamps, mit R. Mutt, 1917 signiert und als “Fountaine“ bekannt, ist entstehungsgeschichtlich unter Kunsthistorikern umstritten. Unklar bleibt, ob es eventuell auf die Dadaistin Elsa von Freytag-Loringhoven zurückgeht und lediglich von der chauvinistischen Bohème okkupiert und auch aus marktstrategischen Gründen Duchamp zugeschrieben wird.
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